Der Deutsche ist grundsätzlich skeptisch

Der Deutsche ist grundsätzlich skeptisch

Das betrifft alle Berufsgruppen und Menschengruppen. An erster Stelle sind da die Personaler/Rekruiter zu nennen, ganz dicht gefolgt von Vermietern.

Ja natürlich jeder hat das Recht selbst zu bestimmen, wen er in seine 4 Wänden lässt. Allerdings muss sich ein Personaler dann die Frage gefallen lassen, warum die Stelle immer noch nicht besetzt ist. Natürlich kann man monatelang nach dem idealen Kandidaten suchen, die Wohnung kann die nächsten Jahre noch leer stehen, bis man den idealen Mieter gefunden hat. Es ist alles möglich.

Aber der anderen Sicht, also die eines Bewerbers oder Mieters wenn mann dann so sieht, wie lange eine Firma sucht, dass die Stellenanzeige schon über 6 Monate geschaltet ist, überlegt man es sich dreimal, ob man sich da bewirbt. In der Vergangenheit habe ich es schon mehrfach erlebt, dass selbst da eine Absage erhalten habe.

Vermieter wollen meist keine Kinder (zu laut), keine Rentner (könnten schnell versterben), keine Singles (ziehen zu schnell aus, angeblich), alleinerziehende Mütter sind auch ein Tabu und wie ich heute gelesen habe, auch Juristen haben schlechte Karten (könnten sofort alles verklagen). Also wenn es so wäre dann würde halb Deutschland auf der Straße wohnen.

Ich habe damals 14 Jahre in einer Mietwohnung gewohnt, der Vermieter und mein Vater sich gewundert haben, warum ich nicht schon mal früher ausgezogen bin. Das ist wiederum die andere Seite der Medaille. Zu lange wohnen darf man anscheinend auch nicht. Das weckt auch den Argwohn bei so vielen Menschen. Was ist denn nun richtig?

Auch habe ich 14 Jahre in einer Firma gearbeitet, also weit über den normalen Standard von 5 Jahren, aber dann gilt der andere Standard, dass man mindestens 3 Jahre in einer Firma sein muss, ehe man sich wo anders bewirbt.

Ich frage mich, wie denkt man sich das aus und wer denkt sich das aus? Ist das auch so gewürfelt wie die Corona Inzidenzwerte von den Bundesregierungen oder wie der Genesenenstatus, der nur bei uns 3 Monate gilt? Muss ich mich drei Jahre in einen schlechten Job, der gesundheitlich mich belastet ausharren, ehe ich mich woanders bewerben kann?

Entweder man ist zu flatterhaft (ist man dann ein Querulant?) oder wenn man 20 Jahre in einer Firma war, dann ist man faul. Irgendeinen Stempel bekommt man immer aufgedrückt. Wer macht denn alles richtig?

Ich bin seit über 18 Jahren Single. Ist das jetzt gut oder schlecht? Wie lange darf man maximal Single sein? Ich wette, dass ich aus der Sicht der anderen schon längst in dem Muster „beziehungsunfähig“ geraten bin.

Also 50 Jahre verheiratet müsste eigentlich ein genauer Argwohn herrschen, aber das wird in unserer Gesellschaft sehr gefeiert. 50 Jahre in einer Wohnung gewohnt zu haben, 40 Jahre in einer Firma gearbeitet, das werden alle misstrauisch.

Die längsten Trainer in der Fußballbundesliga:

Thomas Schaaf SV Werder Bremen 14 Jahre,

Volker Finke SC Freiburg 16 Jahre,

Otto Rehagel SV Werder Bremen 14 Jahre,

Hennes Weisweiler Borussia Mönchengladbach 11 Jahre,

Eduard Geyer Energie Cottbus 10 Jahre etc…

Wir müssten jetzt alle misstrauisch werden, warum waren die so lange Trainer? Am Trainerstuhl festgeklebt ;-)?. Bei einem normalen Arbeitnehmer wird man misstrauisch, beim Fußballtrainer nicht. Warum?

Hätte Volker Finke nach 16 Jahre Fußballtrainer eine Chance in einer freien Wirtschaft zu arbeiten und wäre dann in die IT gegangen? Jeder normaler Personaler sagt heutzutage: „Sie waren nur Fußballtrainer. Sie haben keine Berufserfahrung in dem Feld“ – Absage.

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Meine damaligen Nachbarn waren ganz besorgt, als ich sagte, dass ich die Eigentumswohnung verkaufen würde, weil sie befürchteten Kinderlärm. Wie habe ich noch heute gelesen, dass es wohl nicht möglich wäre, wenn Studenten neben einer Senioren wohnen würden. Ich frage mich, was ist los in unserem Land?

Es gibt auch ruhige jüngere Menschen – ich war einer von denen und wenn ich mir hier die Wohnsituation anschaue, wo auch noch eine junge Frau hier zugezogen ist, die ist auch nicht zu hören und selbst meine Nachbarn (mit Kind) hier aus China sind auch ruhig. Die Familie, die hier unten irgendwie auf private Ebene so was wie ein Kindergarten betreibt, ist auch ganz ruhig. Sie selber haben auch Kinder. Mir ist das Haus manchmal zu ruhig.

Und Studenten und Senioren passen nicht in ein Haus? Warum? Wer sagt dass wieder? Sagen das die ganzen Ratgeber, die auch einen sagen, was die perfekte Bewerbung sei?

Als meine Eltern hier eingezogen sind, 1980, war die Wohnanlage ein Hort von Kindern (ich war einer von denen). Die Kinder sind dann später ausgezogen und die Eltern sind alt geworden.

Ich hatte die Hoffnung bei einem jungen Pärchen, welches hier wohnte, dass es mal etwas lebendiger werden würde, aber das Pärchen ist dann nach einigen Jahren in eine noch größere Wohnung in der Nähe umgezogen.

Das Problem ist bei den älteren Mitmenschen. Da kommt nichts neues. Würden jüngere Leute eher die Modernisierung forcieren, so bleibt es bei den Älteren alles beim Alten. Ich als Jüngere habe gegenüber einer Übermacht von Rentner bei der Stimmabgabe bei der jährlichen Eigentümerversammlung keine Chance. Ideen mit Solarzellen auf dem Dach, eine noch bessere Vernetzung des Internets, Smarthome (ich weiß aus deutscher Sicht Teufelszeug) hätten vielleicht nur eine geringe Stimmen. Die Älteren wollen nichts verändern. Leider hat die Wohnungsverwaltung, die aus zwei oder drei Personen bestand, auch aus Altersgründen an eine andere Wohnungsverwaltung übergeben und die bleiben in diesen alten Trott genauso drin.

Aber alle 3 Wochen muss der Rasen hier gemäht werden und alles drum und dran. Dieser Lärm ist in Deutschland erträglich, weil es geht ja um die Schönheit der Anlage. Alles muss ja perfekt ordentlich, geschnitten sein. So wie eine perfekte Bewerbung aussieht mit Hochglanzfoto, Deckblatt, Anschreiben (kurz und knackig), 0 Rechtschreibfehler, so kurz müssen der Rasen und die Sträucher geschnitten sein. Dieser Lärm, der von Rasenmähern, Laubbläsern, Heckschneideautomaten ausgeht, der wird als Musik empfunden, Kinderlärm als störend.

Dann kommen andere von außerhalb, die mir dann einreden wollen, dass ich die Eigentumswohnung nicht verkaufen soll.

Wer sagt mir, dass ich nachdem in eine Mietwohnung gezogen bin, nicht doch woanders meine Eigentumswohnung aussuchen darf? Meine Eltern fanden die Wohngegend schön – ich für meine Bedürfnisse finde sie so einigermaßen gut – eigentlich gar nicht. Ich habe die Wohnung auch nur aus eigener Faulheit übernommen. Ich wollte eigentlich seit 2016 die Wohnung verkauft haben.

Das blöde ist, wenn ich woanders hin will, brauche ich einen neuen Job und eine neue (Miet-)Wohnung. Wo anders meine ich jetzt nicht in die Nachbarschaft, sondern viel weiter weg, hin zu meinen eigenen Bedürfnissen und nicht was meine Eltern festgelegt haben. Oder darf ich meine eigenen Bedürfnisse nicht irgendwann stillen? Oder erst mit 67 Jahren?

Der Deutsche ist skeptisch gegenüber auch von Menschen, die nach 43 Jahren ihren Heimatort verlassen (fünfmal im Jahr, außerhalb von Corona, im Urlaub woanders hinzufahren ist ganz normal, aber einmal woanders zu wohnen – oh, da kommt ganz große Skepsis) oder die ihre Beruf wechseln – nee, da wollen wir die 10000000000%ige Sicherheit haben.

Und ich sage: Wacht alle mal auf. Es gibt keine Sicherheit. Morgen kann ein noch nicht entdeckter Asteroid auf Berlin stürzen und tausende Menschen töten oder mehr oder Außerirdische können doch auf einmal kommen. Selbst die Flutkatastrophe aus dem Ahrtal hat niemanden wachgerüttelt. Ich meine nicht den ewigen Klimawandel, sondern, es ist nichts sicher. Der Akademiker, der heute 100.000 Euro verdient, kann in zwei Monaten nach dem Einzug in die teure Wohnung arbeitslos sein und sich morgen eine günstigere Wohnung suchen müssen. Da hilft auch keine Schufaauskunft vorher. Oder er findet die große Liebe, die aber 700 km vom ihm entfernt wohnt und zieht dort hin.

Alles ist möglich und nichts ist sicher. Tut mir leid, wenn ich hier vielen jetzt die Illusionen raube.

Am besten wäre natürlich ein Tiny House, welches man immer quer über den Planeten Erde mitnimmt.

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